Wo man denn diesen 40.000 Jahre alten Löwenmenschen von der Schwäbischen Alb bewundern könne, wollten nicht wenige Besucher wissen, die am Tag der offenen Tür durch die verwinkelten Gänge und zahlreichen Laborräume des Forschungsinstituts Edelmetalle + Metallchemie (fem) flanierten. Sie wurden dieses eine Mal enttäuscht, denn die Skulptur aus Mammutelfenbein, ein atemberaubendes Zeugnis urzeitlichen Kunstschaffens, das eine Woche zuvor im 3D-Röntgen-Computertomographen des fem durchleuchtet worden war, hatte längst wieder ihren Platz im Ulmer Museum eingenommen. „Natürlich wäre der Löwenmensch ein absoluter Höhepunkt am Tag der offenen Tür gewesen“, schmunzelte Institutsleiter Dr. Andreas Zielonka, „aber in Anbetracht seines Versicherungswerts sind wir doch ganz froh, ihn heute nicht im Haus zu haben“. Es blieb glücklicherweise bei diesem einen Wermutstropfen, denn die zahlreichen interessierten Besucher erwartete ein vielfältiges und umfangreiches Programm, das unter dem von der Landesgartenschau inspirierten Motto „Historisch gewachsen, mit Sorgfalt kultiviert“ die Forschungsaktivitäten des fem und seiner fünf Abteilungen präsentierte.
Forschung und Wissenschaft sind ernste Angelegenheiten, aber so ernst auch wieder nicht: Um die Nichtfachfrauen und –männer nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern für die Sache des fem zu begeistern, schlug die neue Sonderausstellung im Foyer des Forschungsinstituts einen etwas salopperen, ironischen Ton an, ganz abseits vom üblichen Fachjargon. In einem auf Kunstrasen platzierten, mit frischen Blumen geschmückten Gebilde aus Obstkisten, über dem ein Himmel mit humorvoll formulierten Fragen schwebte – „Metallisches Glas, ist das denn durchsichtig?“ oder „In meinem Smartphone stecken seltene Erden, wer holt die da wieder raus?“ –, präsentierten sich die Abteilungen des fem mit aktuellen Forschungsschwerpunkten und ausgewählten Exponaten. Beispiele aus den Bereichen Energie- und Medizintechnik, Leichtmetall- und Lackforschung sowie Fertigungs- und Recyclingmethoden illustrierten das große Spektrum der Themen, die am fem erforscht und entwickelt werden.
Auch die jüngeren Gäste wurden direkt angesprochen: Neben einer allgemeinen Einführung in die Welt der Metalle gab es unter dem Titel „Chemie in deiner Hosentasche“ eine kurze Einführung in die Batterieforschung am fem. Patrick Wais, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit am fem, konzipierte die Ausstellung und verfasste deren Texte: „Unser Ziel war, komplizierte Sachverhalte so zu formulieren, dass der unkundige Leser nicht nach dem ersten Satz aussteigt, sondern ein echtes Verständnis für die praktische und wirtschaftliche Bedeutung unserer angewandten Forschung gewinnt“.
Nach diesem „niederschwelligen“ Einstieg in die Welt des fem, in der sich alles um metallische Oberflächen und Werkstoffe dreht, hatten die Besucher Gelegenheit, sich an mehr als zwanzig Stationen ein Bild über die Forschungsaktivitäten und Dienstleistungen des Instituts zu machen. Im Silbersaal zog Dr. Reinhard Böck die staunenden Zuhörer mit seinen Ausführungen zum Material und Werkstoff Gold in seinen Bann, Sabine Klingelstein hingegen gewährte den Besuchern im Untergeschoss des Applikationstechnikums einen Einblick in die Technik der industriellen Computertomographie, die auch bei der Untersuchung des besagten Löwenmenschen zum Einsatz kam. Dr. Seniz Sörgel und Dr. Mila Manolova aus der Abteilung Elektrochemie und Galvanotechnik stellten ihre jüngsten Ergebnisse zur Batterietechnik und Elektrolyse vor und demonstrierten ganz nebenbei, das naturwissenschaftliche Forschung mitnichten eine reine Männerdomäne ist. Besonderen Zuspruch erhielten zwei weitere Stationen, Mikrobiologie und Schmuckprüfung. Hier die Petrischale mit selbst kontaminiertem Nährboden zum Mitnehmen – besonders beim jüngeren Publikum und zum Leidwesen deren Eltern sehr beliebt –, dort die Möglichkeit, den Ehering oder das letzte Geburtstagsgeschenk mittels Röntgenfluoreszenzanalyse binnen weniger Minuten auf seine Zusammensetzung und Echtheit prüfen zu lassen.
Für Begeisterung sorgte auch die Station „Selektives Laserschmelzen“. Dr. Ulrich Klotz, Leiter der Abteilung Metallkunde, erklärte anschaulich, was unter dieser Methode zu verstehen ist und zeigte den Besuchern, welche Möglichkeiten das 3D-Drucken mit metallischen Werkstoffen beispielsweise der Schmuck- und Uhrenindustrie eröffnet. Feinste metallische Pulver werden auf der Basis von dreidimensionalen Computermodellen mit einem Laserstrahl zu sehr komplexen und feingliedrigen Strukturen zusammengeschmolzen. Strukturen und Objekte, die mit anderen Fertigungstechniken nicht oder nur sehr schwer zu realisieren sind.
„Es erstaunt mich immer wieder, dass wir zwar in der Fachwelt weltweit bekannt sind, in der Stadt aber, obwohl schon 1922 gegründet, immer noch eine Art unbekanntes Wesen darstellen“, stellt Dr. Zielonka am Ende des Tages fest. „Auch dafür ist ein Tag der offenen Tür da: Der Bevölkerung in der Stadt und der Region zu zeigen, dass hier Forschungsarbeit geleistet wird, in der es um die großen Herausforderungen unserer Zeit geht. Darum freut es mich besonders, dass wir auch viele junge Gäste heute am fem begrüßen durften.“