Blick in die Historie
Die ersten Jahre des Gmünder Forschungsinstituts
Für die im Jahr 1926 veröffentlichte „Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Gewerbeschule und der staatlichen höheren Fachschule für Edelmetall-Industrie sowie zum 50-jährigen Jubiläum des Kunstgewerbemuseums Gmünd“ verfasste Walter Klein, damals Rektor der Höheren Fachschule für Edelmetallindustrie in Schwäbisch Gmünd, dem Vorläufer der heutigen Hochschule für Gestaltung (HfG), einen Beitrag über das, wie es damals noch hieß, Forschungsinstitut und Probieramt für Edelmetalle. Seine Ausführungen ermöglichen uns einen spannenden Einblick in die maßgeblich von Nachkriegszeit und Wirtschaftskrise geprägten ersten Jahre des Instituts. Und schon damals, das kommt in den abschließenden Worten des einstigen Institutsleiters Hans Leroux zum Ausdruck, schrieb sich das Institut zwei Werte und Überzeugungen auf die Fahnen, die das fem bis heute auszeichnen: Unabhängigkeit und anwendungsorientierte Forschung für die Industrie.
FORSCHUNGSINSTITUT UND PROBIERAMT FUR EDELMETALLE SCHWÄB. GMÜND
VON PROFESSOR WALTER KLEIN
Das im Herbst 1922 eröffnete Forschungsinstitut und Probieramt für Edelmetalle stellte in seiner ursprünglichen Gestalt eine Abzweigung der Schule dar, nach der Neuorganisation im April 1925 ist es zu einer Abteilung der Höheren Fachschule geworden. Das Institut wuchs aus den Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit mit ihrer Steigerung des Materialwertes und der Anwendung neuer Ersatzstoffe heraus. Diese Zeit hat auch in der Edelmetallindustrie den Wert wissenschaftlicher Arbeit für das Wirtschaftsleben beleuchtet und eine Verbindung nahegelegt, welche in der deutschen Farbstoffindustrie zu deren unbestrittenen Weltbedeutung geführt hat. Liegt auch in der Edelmetallindustrie der Hauptwert in der künstlerischen und technischen Ausführung der Waren, so ist doch andererseits auch die Zusammensetzung des Materials und ihre günstigste Verarbeitungsmöglichkeit ein im Wirtschaftskampf besonders wertvolles Element.
Insbesondere ist die Wirtschaftlichkeit und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe wesentlich davon abhängig, wie der immer noch erhebliche Materialverlust auf ein möglichst geringes Maß verringert und das Ansehen des Schmuckstückes oder Silbergerätes gesteigert werden kann. Den Zwang zu dieser Überlegung hat ohne Zweifel die Inflationskrise und der amerikanische Wirtschaftskampf beschleunigt.
Wie das Mikroskop Eigenschaften und Mängel des Objektes, welche dem bloßen Auge entgehen, durch stärkste Vergrößerung klarlegt und die Möglichkeit zur Erkennung schafft, so hat der ins fantastische übersteigerte Materialmangel und -Wert die Notwendigkeit wissenschaftlicher Klarstellung bisheriger Arbeitsmethoden erwiesen. Diese Notwendigkeit ist durch die Rückbildung zum normalen Wert ebensowenig entbehrlich, wie die erkannten Mängel eines Objektes durch Herausnahme aus dem Mikroskop verschwinden. Die Pforzheimer Großindustrie hatte deshalb schon länger auf die Mitarbeit der Wissenschaft Wert gelegt und in Einzelbetrieben chemische und metallographische Laboratorien errichtet; für die Gmünder Industrie kam nur ein Weg in Betracht, der auch den kleineren Betrieben die Vorteile wissenschaftlicher Mitarbeit brachte.
Die Fachschulleitung hatte schon beim Neubau der Schule diesen Weg durch Ausstattung eines modernen chem. Laboratoriums mit etwa 20 Arbeitsplätzen betreten, 1920 wurde ein Probierofen beschafft und unter Leitung von Bergrat Dr. Moser von der staatlichen Münze Stuttgart drei aufeinanderfolgende Kurse in Probieren und Scheiden abgehalten, die in der Gmünder Industrie außerordentlich starkes Interesse fanden und in der Folge zur Angliederung von kleinen Laboratorien in größeren Betrieben führten. Der Plan einer amtlichen Probierstelle mit einer Forschungsanstalt für Edelmetalle wurde in der Industrie lebhaft erwogen und am 29. Dezember 1921 kam in der Fachschule ein Vertrag zwischen dem Verband des Gmünder Edelmetallgewerbes, dem Staat und der Stadt zustande, wonach ein "eingetragener Verein für die Probier- und Forschungsanstalt" gegründet wird. Diese Körperschaften bildeten den Verein, welchem die Einrichtung und der Betrieb des Instituts im Fachschulgebäude oblag. Werkbesitzer Paul Köhler, Rob. Grimminger, Emil Holzapfel haben das Verdienst, in schwierigster Zeit das neue Unternehmen, das von großen Hoffnungen begleitet war, sicher gesteuert zu haben.
Die Aufgaben des Instituts wurden schon in den Vereinssatzungen von 1921 folgendermaßen klar formuliert:
„Das Forschungsinstitut und Probieramt soll
1. eine unabhängige Untersuchungsstelle für edle und unedle Metalle, sowie deren Legierungen sein,
2. sich mit der Erforschung von edlen und unedlen Metallen, sowie deren Legierungen befassen,
3. das beteiligte Gewerbe in allen Fragen der Metallchemie gegen besondere Gebühren beraten.
Die Ergebnisse der Forschung sollen den an der Anstalt beteiligten Industriekreisen zur Kenntnis gebracht werden.“
Die baulichen und technischen Einrichtungen des Instituts fielen in den unaufhaltsam fortschreitenden Währungszerfall der Jahre 1922/23; aber voll berechtigten Stolzes konnten am 17. Oktober 1922 bei starker Anteilnahme der Fachwelt und in Anwesenheit der Arbeits- und Finanzminister Württembergs, von Hochschul- und Industrievertretern die Institutsräume eingeweiht werden. In Universitätsprofessor Dr. Rudolf Vogel (Göttingen) war eine Autorität auf dem Gebiete der Edelmetallforschung als Leiter gewonnen worden, dem Dr. Ewig als Assistent für die Unterrichtserteilung zur Seite stand. Freilich stellte sich im Laufe der immer wilder werdenden Geldentwertung die Einstellung des Instituts auf rein wissenschaftliche Arbeit als unhaltbar heraus, zumal die letztere keineswegs im gleichen Tempo mit den Erwartungen der Industriekreise nach neuen Metallegierungen vorwärtsschreiten konnte. Es erschien deshalb eine Umstellung auf produktive Arbeit erwünscht, die nach Abschluß der dauernd wertvollen Arbeiten Professor Vogels in der Gewinnung des industriell erfahrenen Dr. Oryvall und Dipl.-lng. Kreidl und der nebenamtlichen Leitung durch den Vorstand der Staatlichen Münze, Bergrat Dr. Moser (Stuttgart), möglich schien.
Der Ersatz der Billionen durch Rentenmark und die dadurch geschaffene Knappheit der Geldmittel ließ aber auch dieses zunächst erfolgreiche Werk scheitern, da die Aufbringung größerer Geldmittel nötig wurde, die bei den gesteigerten Lasten der Industrie und der Zunahme der Wirtschaftskrise schwer aufzubringen waren. Da Dr. Moser auf die Dauer das im Gmünder Interesse übernommene Nebenamt unmöglich weiterführen konnte, wurde im Frühjahr 1925 eine Lösung gefunden, das Institut ähnlich dem Reutlinger Vorbilde organisatorisch mit der Fachschule zu verbinden und dem Direktor der Schule zugleich auch die Vorstandschaft des Instituts zu übertragen. Träger des Instituts blieb der Verein, dessen Vorstandsmitglieder zugleich den Beirat bilden. Die Kassen- und Verwaltungsgeschäfte wurden von der Schule übernommen und das Ziel der Institutsarbeit in der Weise festgelegt, daß zunächst die Unterrichtstätigkeit die Grundlage des Aufbaues bilden sollte und zwar in der Form von Laboratoriumkursen für die Schüler und periodischen Meisterkursen für die Führer der Industrie. Durch Gutachten, Analysen, beratende, mündliche, schriftliche und schriftstellerische Tätigkeit soll das Interesse weiter Kreise gewonnen und darauf die wissenschaftliche Forschungsarbeit in Verbindung mit den anderen staatlichen Instituten, der Münze, Hochschule, Materialprüfungsanstalt u. a. aufgebaut werden. Dem Probieramt fällt die Ausführung neutraler Edelmetallproben und Scheidungen zu, weshalb die Einrichtung verbessert und ergänzt werden mußte. So ist das Gmünder Institut heute zu einer Anstalt herausgewachsen, welche der ganzen deutschen Edelmetallindustrie dient und das Vorbild für die vom Reichsverband gegründete Forschungsstelle für Edelsteine in Berlin geworden ist.
Über den Aufgabenkreis und die Tätigkeit schreibt der seit 1. September 1925 bestellte Institutsleiter Dr. ing. Hans Leroux: „Es steht hier nicht an, sich auf ein bestimmtes Arbeitsprogramm des Instituts festzulegen, vielmehr sollen lediglich die Entwicklungsmöglichkeiten gestreift werden. Vor allem ist das Institut berufen, als industrielle Beratungsstelle zu wirken, was bei der heutigen wirtschaftlichen Notlage ganz besonders wünschenswert ist. Der genossenschaftliche Charakter des Instituts wird offensichtlich, wenn man bedenkt, daß die Gmünder Industrie, welche sich aus kleinsten Anfängen entwickelt hat, mit wenigen Ausnahmen noch heute aus vielen kleinen und mittleren Betrieben besteht, welche nicht in der Lage sind, eigene Laboratorien zu unterhalten. Die Tätigkeit als industrielle Beratungsstelle wird eine mit der Zeit fortschreitende Entwicklung erfahren. Durch die aus der Edelmetallindustrie laut werdenden Wünsche aller Art ergeben sich immer neue Anregungen. Die Bearbeitung der Probleme lassen neue Erfahrungen sammeln, welche den Wert der Beratungsstelle mehr und mehr steigern und diese endlich zu einem nicht mehr zu vermissenden Werkzeug der Industrie machen. Durch die beratende Tätigkeit ergibt sich zwangsläufig die wissenschaftliche Bearbeitung einzelner Gebiete, die wissenschaftliche Forschung. Bei der heutigen wirtschaftlichen Lage ist die Forschungstätigkeit durch die Bedürfnisse der Industrie gekennzeichnet. Zur erfolgreichen Durchführung dieser Arbeiten wird die Bestellung eines wissenschaftlichen Assistenten unumgänglich nötig. Durch die Lehrtätigkeit des Instituts soll im Anschluß an die Fachschule begabten Schülern mit der nötigen Vorbildung die Möglichkeit gegeben werden, in die heute wichtigen Gebiete der allgemeinen und physikalischen Chemie Einblick zu erhalten. Dieser Unterricht soll den Teilnehmern das Verständnis für die in der Praxis ausgeübten Arbeiten und Verfahren wachrufen und diese zu kommenden Führern der Edelmetallindustrie heranbilden. In neuester Zeit wurde die Lehrtätigkeit des Instituts auf Mineralogie und Edelsteinkunde ausgedehnt, wozu eine Sammlung guter Instrumente zur Verfügung steht. Auch hier ergibt sich der Ausblick, eine wissenschaftliche Stelle zur Untersuchung von Edelsteinen und Perlen zu schaffen. Was endlich das Probieramt angeht, so kommt diesem immer mehr der Charakter einer neutralen Schiedsstelle zu, was dieses zur Anrufung in Streitfällen besonders geeignet macht. Auch die wissenschaftliche Untersuchung der bestehenden Methoden der Edelmetalluntersuchungen auf ihre Genauigkeit und Zweckmäßigkeit fallen dem Probieramt zu. Mit der Bearbeitung eines wichtigen diesbezüglichen Problems ist bereits begonnen, andere sind in Aussicht genommen. In engem Zusammenhang mit der Untersuchung von Edelmetallen und ihren Legierungen steht der Scheidebetrieb, welcher bereits weitgehende Verbesserungen erfahren hat und noch weiterentwickelt werden soll. Die hierbei maßgebenden Gesichtspunkte sind: Billige Durchführung der Scheidungen, Trennung der Platinmetalle, schnelle Rücklieferung. Von besonderer Wichtigkeit ist es, den unabhängigen, wissenschaftlichen Charakter des Instituts zu bewahren, um in dieser Eigenschaft einen regen Gedankenaustausch mit den übrigen wissenschaftlichen Instituten und vor allem mit den technischen Hochschulen zu ermöglichen. Jedweden Bindungen, welche diesem obersten Grundsatz zuwiderlaufen, muß daher mit aller Schärfe begegnet werden. Die Entwicklung der letzten Zeit hat gezeigt, daß das Institut in der Lage ist, in stetem Fortschritte bei der Überwindung der heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten mitzuhelfen und seinen Zweck, der Industrie zu dienen, zu erfüllen.“